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Faszinierend echt

MrGlue aka Gernot Baars weckt Organismen mit Heißkleber zum Leben

 

Gernot Baars ist selbstständiger Grafikdesigner und Künstler. In seinem Atelier im Östlichen Ringgebiet fertigt der gebürtige Hamburger unter anderem dreidimensionale naturgetreue und doch extravagante Plastiken aus dem gewöhnlichen Material Heißkleber an, was auf den ersten Blick kaum zu glauben ist – seine Werke erscheinen gläsern und lebendig, fragil und gleichzeitig stark. Vor allem die Tierwelt, insbesondere Lebewesen, die auf der Roten Liste der bedrohten Arten stehen, haben es ihm angetan. Die Art und Weise, wie heutzutage mit der Umwelt und deren Ressourcen umgegangen wird, beschäftigt den ehemaligen Koch seitdem er mit Lebensmitteln arbeitete. Die heiße Masse des Klebers, mit dessen Nutzung Vorsicht geboten ist, sieht er als Pendant zur technischen Entwicklung, die verheerende Auswirkungen auf die Natur hat. Was MrGlue braucht, um in einen Flow-Zustand zu kommen, welche Seiten des Künstlerdaseins herausfordernd sind und was seine einzigartige Verbindung zu dem ausgewählten Material ausmacht, verrät der Künstler im Interview.

 

Was war Dein erster Job beziehungsweise Berufsausbildung?
Eine Ausbildung zum Koch war mein Einstieg in die Welt der Arbeit. Nach einigen Jahren als Koch habe ich ein Designstudium absolviert.

Welche Techniken hast Du bereits ausprobiert und wieso bist Du beim Heißkleber geblieben?
Um es kurz zu sagen: Sehr viele. Allerdings hat keine davon für mich ähnliche Eigenschaften wie der Heißkleber, der es mir ermöglicht, zum ersten Mal beinahe grenzenlos zu denken. Was ich damit genau sagen will: Auch Heißkleber hat eine statische Obergrenze. Doch bis zu diesem Punkt ist für mich mehr möglich als mit anderen Materialien. Und an dem Tag, an dem ich diesem Material soviel Leben eingehaucht habe, dass Betrachter:innen meiner Werke die Frage umtrieb, wie ich ein Lebewesen so präpariert habe, dass es wie Glas erscheint oder wie Echt, wurde mir klar, welche Verantwortung ich gegenüber diesem Phänomen habe.

Was brauchst Du, um in einen Flow Zustand zu kommen?
Zeit. Der Fokus kommt von allein. Kreativität ist ausreichend vorhanden.

Wie sieht eine intensive Schaffensphase bei Dir aus?
Der Flow (bleiben wir bei dem Wort) läuft. Zeit und Raum verschmelzen. Nur die menschlichen Bedürfnisse drängen zu kurzen bis längeren Pausen.

Wie kann man sich Dein Atelier vorstellen?
Als einen lebenden Organismus. Je nach Zweck und Bedarf ist mein Atelier mal mehr, mal weniger präsentabel. Wie im echten Leben. Manchmal möchte man einfach auf der Couch liegen und nicht rausgehen. So geht es meinem Atelier auch.

Wie definierst Du Kunst?
Ich definiere Kunst als das, was dich als Betrachter:in berührt. Auf welche Weise auch immer. Wie ich als kreative Person möchte. Kunst verstehe ich als einen Dialog, eine Form der Überlieferung von Gedanken, Gefühlen, Wahrnehmungen und Konzepten, in die ich Einblicke gewähre oder auch aussperre. Je nach Idee und Bedarf.

Inwiefern spiegelt sich Deine Persönlichkeit in Deinen Kreationen wider?
Meine Persönlichkeit spielt in meinen Arbeiten eine große Rolle. Ich funktioniere als ausgewähltes Medium, um dieses gewöhnliche Material in voller Pracht seiner materialeigenen Ästhetik zu entfalten. Die bisherige Motivwahl lässt mir dafür genügend Raum. Raum, um die bekannten Grenzen dieses Materials immer weiter zu verschieben.

Hat Dein mentaler Zustand Einfluss auf Deine Werke?
Auf mein Schaffen allgemein. Es gibt produktive und weniger produktive Tage. Für die weniger produktiven Tage gibt es zum Glück Deadlines. Ob selber gesetzte oder von anderen vorgegebene. An der Stelle beginnt dann der Spielraum der Motivation.

Zu welcher Tageszeit und an welchem Ort bist Du am Kreativsten? Was inspiriert Dich?
Inspirierend kann grundsätzlich erst mal alles sein. Es kommt auf die Betrachtung an, ob es für einen selbst zur Inspiration wird. Dabei spielt die Tageszeit für mich keine Rolle. Auch der Ort ist eigentlich nicht entscheidend. Eigentlich deshalb, weil ich beim Arbeiten gerne meine Ruhe habe. Zusätzliches Publikum würde den Fokus verschieben und es wäre dann mehr Entertainment.

Was war Deine spannendste Auftragsarbeit?
Diese Frage würde ich gerne in 15 Jahren beantworten. In den letzten Jahren war für mich alles spannend. Daher zählt es nicht.

Woran arbeitest Du momentan?
Ich bleibe noch kurz bei den Krustentieren und arbeite gerade an einer roten Weihnachtsinselkrabbe.

Welche Erlebnisse im Laufe Deiner Karriere haben Dich am meisten geprägt?
Das kann ich so genau nicht sagen. Es sind gefühlt zu viele Erlebnisse in zu kurzer Zeit. Zeit fliegt nur so dahin, wenn man Kunst macht. Daher kann man sich darin auch so wunderbar verlieren.

Worauf bist Du besonders stolz?
Stolz ist ein sperriges Wort. Dennoch bin ich wohl genau von diesem erfüllt, wenn ich einem so simplen Material die Darstellung komplexen Lebens abgewinnen kann. Das ist ein glorreiches Gefühl.

 

Vor welchen Herausforderungen standest/stehst Du als selbständiger Künstler? Was wäre Plan B gewesen, falls es einen gab?
Eine der großen Herausforderungen ist die Motivation der eigenen Person. Plan A war ein Angestelltenverhältnis. Erst mal nicht denken. Nur nach Auftrag handeln. Wäre super gewesen. Dann grätscht das Leben rein und schon wird der Traum zur Realität. Was aber nie Plan B war. Ich dachte, ich mache zur Rente noch etwas Kunst. Wie fast alle.

Welche schönen und schlechten Seiten hat das Künstlerdasein?
Die schönen Seiten sind so vielfältig, dass allein das ein ganzes Interview wäre. Die schlechte Seite ist, dass man immer unter dem Generalverdacht der Faulheit steht. Kleine Ausstellungen werden nur von wenigen besucht. Es dauert einige Zeit, bis man in den Fokus einer größeren Aufmerksamkeit rückt. Bis dahin sieht es für die meisten so aus, als würde man gar nichts tun.

Welche Träume sind bislang (vielleicht sogar durch das Künstlerdasein) auf der Strecke geblieben?
Die Träume des Lebens werden der Reihe nach zu Aufgaben. Sonst zerplatzen sie. Unser eigenes Tun entscheidet, welche Träume sich erfüllen und welche für immer schwinden und uns im Alter sogar als verpasste Möglichkeiten quälen können.

2014 hast Du in einem Interview gesagt, Du siehst Dich als: „Ein Unruhiger, der mit der Flut von Information zwischen Bett und Morgentoilette schon so inspiriert in den Tag startet, dass es schnell in einer Überforderung enden kann {…}.“ Siehst Du Dich heute immer noch so?
Definitiv nicht. Der Umgang mit den medialen Möglichkeiten hat sich geändert. Zusätzlich ist durch die eigene künstlerische Entwicklung eine Ruhe eingekehrt, die den unruhigen Geist in einen forschenden Charakter gewandelt hat. Fokussiert, aber immer noch neugierig.

Was möchtest Du noch sagen?
Für heute nichts mehr. Gute Nacht.

Auf mr-glue.com erfahrt ihr mehr über die außergewöhnliche Kunst von Gernot Baars.

Fotos Gernot Baars

Vergiss nicht, abzustimmen.
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Lina Tauscher

Geschrieben von Lina Tauscher

Reportage-Reihe – Folge2: Wie schlecht ist der Ruf wirklich?

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