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„Ich bin nicht süchtig nach Preisen.“

Oscar-Kandidatin Sandra Hüller über „Anatomie eines Falls“ und „The Zone of Interest“

Sie zählt zu den renommiertesten Schauspielerinnen ihrer Generation. Schon während der Schulzeit entdeckt Sandra Hüller, Jahrgang 1978, ihre Leidenschaft für das Theater. Im Jahr 2003 wird sie von „Theater Heute“ zur „Nachwuchsschauspielerin des Jahres“ gewählt, dem Preis werden viele weitere folgen. Für ihr Kinodebüt mit „Requiem“ von Hans-Christian Schmid erhält sie 2006 den Silbernen Bären auf der Berlinale sowie den Deutschen Filmpreis. Für das für den Oscar nominierte Tochter-Vater-Drama „Toni Erdmann“ von Maren Ade wird Hüller in Cannes gefeiert und bekommt den Europäischen Filmpreis. In diesem Jahr war Hüller in Cannes gleich doppelt präsent. In „The Zone of Interest“ spielt sie die Frau eines KZ-Kommandanten. Das Drama ist von Großbritannien für den Oscar eingereicht. Sie selbst ist für die Rolle in „Anatomie eines Falls“ nominiert, wo sie als selbstbewusste Ehefrau unter Mordverdacht gerät. Der Krimi von Justine Triet wurde mit der „Goldenen Palme“ sowie fünf Oscar-Nominierungen prämiert und ist jetzt auf DVD verfügbar. Dieter Oßwald hat sich mit Sandra Hüller unterhalten.

Frau Hüller, in Wikipedia werden 28 Auszeichnungen für Sie aufgeführt. Wird man irgendwann ein bisschen süchtig nach Preisen?
Also wie wäre das denn, wenn ich jetzt süchtig nach Preisen wäre? Wie würde ich mir die denn beschaffen? Darauf habe ich überhaupt keinen Einfluss. Nein, ich bin nicht süchtig nach Preisen. Ich habe Auszeichnungen von Anfang an als riesiges Geschenk betrachtet. Ich freue mich jedes Mal wahnsinnig darüber. Ich gehe nicht davon aus, dass es bei Preisen einen Automatismus gibt. Sondern, dass wirklich meine jeweilige Arbeit damit gemeint ist.

Von „Fack Ju Göthe 3“zu „The Zone of Interest“ ist ein ziemlicher Spagat. Was braucht ein Stoff, damit Sie Feuer fangen und dabei mitspielen möchten?
Zwischen diesen beiden Filmen liegt ja ein bisschen Zeit. Eine Antwort darauf, was den Ausschlag gibt, kann ich nicht geben. Es gibt da keine Checkliste, mit der ich meine Projekte aussuche. Entweder ein Stoff fasziniert mich. Oder eben nicht. Was genau dabei die entscheidende Rolle spielt, weiß ich wirklich nicht.

Wie viel bleibt von den Rollen bei einem hängen? Wie sieht der Feierabend aus, wenn man tagsüber in „The Zone of Interest“ die Frau eines KZ-Kommandanten spielt?
Mir ist ja immer bewusst, dass ich in einem Film Texte sage, die nicht meine sind. Wenn ich abends nach Hause gehe, dann bin ich wieder ich. Da habe ich keine Verhaltensweisen oder Gedankengänge der Figur, welche ich tagsüber spiele. Auch nach einem bedrückenden Drama wie „The Zone of Interest“ war ich nach dem Dreh sehr schnell wieder fröhlich. Erst jetzt, durch den Kinostart in den USA oder die Aufführung auf Festivals, kommt die ganze Thematik wieder hoch. Das sind politische Themen, die mich auch als Mensch etwas angehen und nicht nur als Schauspielerin.

In „Anatomie eines Falls“ spielen Sie eine Frau, die eines Mordes verdächtigt wird. Was hat Sie an dieser Rolle interessiert?
Mich fasziniert, dass diese Frau eine Freiheit für sich in Anspruch nimmt, die ich selbst auch gerne in Anspruch nehmen würde — was ich mich aber nicht immer traue in meinem Leben. Die Sandra im Film entschuldigt sich nicht für Entscheidungen, sie lebt konsequent und besitzt einen wunderbaren Humor. Sandra ist klug, talentiert und unabhängig. Sie verfügt über eine großartige Liebesfähigkeit, die sie aber nicht jedem schenkt. Es gelingt ihr, trotz aller Angriffe in diesem Prozess ruhig zu bleiben.

Justine Triet gewann in Cannes die Goldene Palme, als dritte Frau in 77 Jahren Festival. Macht es für Sie einen Unterschied, ob ein Mann oder eine Frau auf dem Regie-Stuhl sitzt?
Ob ein Mann oder eine Frau die Regie führen macht für mich keinen Unterschied.

Gibt es noch Rollen, von den Sie träumen?
Nein, ich träume nicht von Rollen. Meine bisherigen Rollen finde ich alle wichtig, und ich bin sehr froh, dass ich diese Figuren kennengelernt habe. Außer bei „The Zone of Interest“, das ist die einzige Ausnahme. Da bin ich eher froh über die Begegnung mit der Regie, dem Team und meinem Partner.

Was ist für Sie die wichtigste Qualität im Schauspiel-Beruf?
Konzentration.

War es zu Beginn Ihrer Karriere für Sie unbeschwerter, Filme zu machen? Wie schwer wiegt heute der Erwartungsdruck?
Die Erwartungen haben sich bestimmt geändert. Es gibt vielleicht manchmal schon so ein Bild, dass ich alles schon kann. Aber ich unterlaufe das ziemlich schnell, indem ich am Anfang immer alles falsch mache. Für mich ist dieser Beruf eine Suche, ein Ausprobieren und Experiment. Ich hoffe, dass es auch noch eine Weile so bleibt. 

Fotos Leonine

Vergiss nicht, abzustimmen.
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Dieter Osswald

Geschrieben von Dieter Osswald

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