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Termin
„Freundschaften“, 3.5. – 24.9.2023
Kunstmuseum Wolfsburg (WOB)
kunstmuseum.de

„Freundschaften – Gemeinschaftswerke von Dada bis heute“ im Kunstmuseum Wolfsburg

 

Starker Start
An einem sonnigen Vormittag im Juni komme ich in Wolfsburg am Kunstmuseum an und freue mich auf die Ausstellung „Freundschaften“. Ich warte unten auf meine Führung und kann währenddessen durch die Scheiben in die aktuelle Mondrian-Ausstellung im Erdgeschoss linsen. Doch die schaue ich mir nächstes Mal an. Als ich in den ersten Stock zur Ausstellung die Treppen hochsteige, höre ich Jazz-Klänge und oben angekommen, erkenne ich an dem gehängten Plakat, dass es sich um eine kollektive Improvisation des Ornette Coleman Quartetts handelt, die aus einer Box gespielt wird. Was für ein Ausstellungsanfang! Ich würde am liebsten stehenbleiben und so tanzen, wie man es macht, wenn niemand dich sieht. Doch ich gehe einfach weiter und bereue nichts.

Künstlerische Kollaborationen
In der Ausstellung sind in Zusammenarbeit entstandene Kunstwerke unterschiedlichster Art aus den letzten ca. 150 Jahren ausgestellt. Von einem Gedicht über surrealistische Filme, Fotografie, Malerei, Skulptur ist alles vertreten. Die Ausstellung ist groß und man kann sich gut und gerne einen Nachmittag damit beschäftigen. Nach der Jazz-Musik zu Beginn folgen dadaistische und surrealistische Arbeiten, wie beispielsweise der Kurzfilm „Un chien andalou“ von Bunuel und Dalí, den ich sehr feiere wegen seiner vielen gruselig schrägen Szenen. Auch das Gedicht von 1871 von Rimbaud und Verlaine besticht mich mit seinem derben Humor und subversiver Kritik. Es trägt den Titel „Une sonnet du trou du cul“, was so viel wie A*********gedicht bedeutet und im Stil eines zeitgenössischen Dichters verfasst ist, den sie damit aufs Korn nehmen. Unterzeichnet ist es mit dem gemeinschaftlichen Pseudonym Albert Merat. Wie viele andere der Freundschaften, aus denen die Werke in der Ausstellung hervorgegangen sind, war auch die von Verlaine und Rimbaud keineswegs nur harmonisch oder unkompliziert. Immer gilt jedoch, dass 1 und 1 nicht zwei ergeben sondern 3, denn aus der gemeinsamen Arbeit entsteht etwas Neues, das über die Arbeit der einzelnen Künstler:innen hinausgeht.

Highlights
Nach dem Paravent voller Unterschriften der Surrealisten aus Bretons berühmter Galerie Gradiva ist mein nächster längerer Halt das Gemälde „Rote Liebe“ (1980). Ich bin wie gebannt von dem Gemälde von Castelli und Salomé, das Farben und Motive in den Berliner Clubs der beginnenden 80er-Jahre eingefangen hat. In der Ausstellung vertreten sind auch die Guerilla-Girls mit dem Plakat „DO WOMEN HAVE TO BE NAKED TO GET INTO MET. MUSEUM?“ von 1989. Mir war gar nicht klar, dass es die Gruppe mit den Gorilla-Masken schon so lange gibt. Mit Fakten und Humor machen sie auf folgendes aufmerksam: Weniger als 5% der Künstler:innen in der modernen Kunst sind Frauen, aber 85% der auf Bildern nackt dargestellten Menschen sind weiblich. Ich bekomme ein Gefühl für die Kraft, die aus Kollaborationen hervorgeht und stelle mir die Freundschaften in Form einer Alpha-Helix vor, mit der sie sich gemeinsam Richtung Himmel eskalieren. Insbesondere die politisch motivierten Arbeiten beeindrucken mich: Vor allem das überdimensionale Wandbild „Grand tableau antifaciste collectif (GTAC)“, das einen künstlerischen Protest infolge grausamer Folter und Vergewaltigung der algerischen Künstlerin Djamila Boupacha darstellt. Dem steht in der Austellung farbgewaltig das Gemeinschaftsbild „Untitled“ (1984) mit dem typografischen Apell „Don’t shoot civilians“ auf Graffiti-Farben von Holzer und der Lady-Pink gegenüber. Verstanden werden kann die Arbeit als kritische Stellungnahme der beiden Künstlerinnen zu der damaligen Einmischung der US-Regierung in den südamerikanischen Konflikt.

Une fin heureuse – Ein glückliches Ende
Kurz nachdem ich meine Lieblingsfarbe entdeckt habe (es ist „cunt pink“ in der Arbeit „Double relief in 18 colours“ von Brusse) und zum Abschluss der Ausstellung komme, höre ich wieder Jazz von Coleman aus der kollektiven Improvisation von 1961, der aus einem Podest in den Raum dringt. Es ist kein Mensch zu sehen und ich tanze unbemerkt vorbei an der riesigen Fotografie von „1 2 3 soleil“ von Ballet und Joumard, einem Gebäude in Form eines Schädels hinter Glockenblumen im Wald. Ich gehe hinterher noch ins Museumscafé zu Cappuccino und Cupcake, um die Ausstellung auf mich wirken zu lassen. Es ist angenehm kühl im Schatten und für mich unsichtbare Glocken spielen die Melodie von „Freude schöner Götterfunken“, als zwei gut gekleidete, mit Schmuck behangene ältere Damen an mir vorüberziehen.

Foto Marek Kruszewski, Cooper Hewitt, Smithsonian Design Museum, Dist. RMN–Grand Palais / Image Cooper–Hewitt Smithsonian Design Museum

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Lisa Leguin

Geschrieben von Lisa Leguin

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