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Reinkriechen in die Musik

Interview mit Sven Regener zu seinem neuen Jazzalbum „Field of Lights“.

 

Sven Regener, Richard Pappik und Ekki Busch sind verbunden durch die Band Element Of Crime. Weniger bekannt ist, dass sie auch als Jazz-Trio unterwegs sind. „Field Of Lights“ heißt ihr drittes gemeinsames Album. In jeder Note ist zu spüren, dass diese Musiker am Tonfall, am Timing und vielem mehr ihr ganzes Leben lang gearbeitet haben. Mit Trompeter, Songschreiber und Bestsellerautor Sven Regener, 64, sprach Olaf Neumann über seine künstlerische Philosophie, angstfreies Musizieren und einzigartige Konzerte.

 

Herr Regener, war es ursprünglich Ihr Ziel, Jazzmusiker zu werden? Und holen Sie das jetzt mit Regener Pappik Busch nach, weil Ihnen damals Element Of Crime dazwischenkam?
Mit diesem Projekt versuche ich, mir den Zugang zum Jazz wiederzuerobern. Als Jugendlicher wäre ich nie auf die Idee gekommen, selber zu singen. Ich fand Louis Armstrong, Miles Davis, Dizzy Gillespie und Chet Baker toll. Später in Berlin kam ich zu der Band Zatopek, die eine Mischung aus Jazz und New Wave spielte. Jazz war damals in der Avantgarde-Popmusik auf eine seltsame Weise mit dabei. Da war man mit der Trompete gleich willkommen. Wir haben da viel superschräges Zeug gespielt. Da ich aber auch schöne Melodien spielen wollte, habe ich mit dem Songschreiben angefangen. So kam es über Neue Liebe zu Element Of Crime. Und auch da schleicht sich ab und zu ein jazziges Aroma ein.

Was war Ihnen bei „Field Of Lights“ besonders wichtig?
Eine gute Durchhörbarkeit. Die A-Seite mit der gestopften Trompete ist sehr mellow, und die B-Seite kommt mit einer lauten, ungedämpften Trompete daher. Die Eigenkompositionen sind alle auf der Seite mit der gedämpften.

Der Jazz hat viele große Trompeter hervorgebracht. Versuchen Sie, sich von den üblichen Trompetenklischees fernzuhalten, um einen irgendwie einzigartigen Sound zu schaffen?
Schon beim Rock’n’Roll habe ich gelernt, dass der Versuch, nicht klingen zu wollen wie jemand anderes, genauso verkrampft ist wie das Gegenteil. Ich spiele es einfach auf meine Weise und auch schon lange genug. Da wird sich mein eigener Stil, wenn es ihn denn gibt, schon durchsetzen. Bei der gestopften Trompete ist es tatsächlich so, dass man immer erst an Miles Davis denkt wegen der Klangfarbe. Aber für mich hat seit Anfang der 80er Jahre auch Lester Bowie eine große Rolle gespielt. Er hatte eine sehr humorvolle Art, mit dem Jazz umzugehen.

Fällt Ihnen das Songwriting mit dieser Band leichter als mit Element Of Crime, weil Sie keine Texte schreiben müssen?
Ja und nein. Es ist immer die Musik, die einen Text erst scheinen lässt. Aber in Songtexten steckt auch viel Musik und Klang. Instrumentalstücke haben nicht dieses zusätzliche Element, mit denen sie verschmelzen können. Es ist etwas sehr Anspruchsvolles, es so zu machen, dass es für sich allein leben kann. Dass hier einmal alles ohne Worte ist, ist für mich generell sehr erfrischend. Ich bin froh, mir das zurückerobert zu haben.

Ist Ihr Trompeten-Tonfall bei Regener Pappik Busch bewusst an Ihren Gesang bei Element Of Crime angelehnt, der oft als „schnoddrig“ bezeichnet wurde?
Das ist kein bewusster Prozess. Freunde sagten zu mir: „Sven, wenn man dich spielen hört, dann hört man dich eigentlich auch singen“. Das finde ich, ist ein schönes Kompliment, weil es auf die Individualität der Sache zielt, aber es ist nichts, was ich auf Teufel-komm-raus erzwingen wollen würde. Ich wüsste auch gar nicht, wie.

Man könne aus seinem Horn immer den menschlichen Klang einer Stimme herausholen, sagte der Saxofonist Ornette Coleman. Haben Sie Billie Holidays Stimme im Ohr, wenn Sie Songs wie „Billies Blues“ spielen?
Nein. Das hätte etwas Museales. Man sollte sich ein Stück zu eigen machen und ihm auch etwas hinzufügen. Um zu zeigen, wie lebendig es heute ist. Ornette Coleman meint damit, dass jeder, der ein Blasinstrument spielt, nah an der menschlichen Stimme ist. Die Trompete eigentlich noch näher als das Saxofon, weil sie weniger Technik hat. Jeder, der sie spielt, hat einen individuellen Ton. So wie jede menschliche Stimme wie ein Fingerabdruck ist. Beim Klavier und Schlagzeug ist es letztendlich auch so, nur manchmal nicht ganz so schnell zu erkennen. Auch Ekki Busch hat einen sehr eigenen Klang.

Sie haben das Album in nur zwei Tagen im Berliner Tritonus Studio aufgenommen. Waren Sie selber überrascht, wie schnell Ihnen diese Stücke von der Hand gingen?
Man kann alles in zwei Tagen aufnehmen. Auch an einem. Die Frage ist, wie viel Takes braucht man. Man muss sich immer ein paar mehr Stücke vornehmen, als man für eine Platte benötgt, weil nicht jedes Stück in egal wie vielen Takes so gut wird, dass es einem gefällt. Aber bei manchen reicht schon ein Take aus. Das aus dem Moment heraus Geborene und leicht Imperfekte ist im Jazz genauso wichtig wie überall sonst in der Kunst. Es kommt also bei der Auswahl nicht darauf an, dass etwas unbedingt perfekt sein muss, sondern darauf, wie schön, wie tief, wie berührend es ist.

Von Thelonious Monk interpretieren Sie das Stück »Bye-Ya«. Monk hat immer gesagt: „Ich mag es, wenn Leute Fehler machen“.
Das ist die Philosophie, die wir immer am Laufen haben, wenn wir aufnehmen, egal ob etwa bei Element of Crime oder bei diesem Jazzprojekt. Wir wollen die Musik nicht glattbügeln, wir wollen nicht die perfekte, sondern die beste Version, die lebendigste. Und nicht am Ende noch mit Auto-Tune arbeiten, auf Click spielen und was es dergleichen Scheußlichkeiten noch gibt. Zum Lebendigen gehört das Unperfekte, und Thelonious Monk war ein weiser Mann.

Ist das Live-Spielen die Kür und die Arbeit im Studio die Pflicht?
Das sind beides Sachen, die ich sehr gern mag. Es steht überhaupt nicht gegeneinander. Bei Element Of Crime waren auch die Plattenproduktionen immer ein Spaß. Zumindest ab dem Moment, an dem wir merkten, dass wir davor keine Angst haben müssen. Das hat viel mit den Produzenten zu tun, die dafür da sind, den Musikern die Angst zu nehmen. Bei Element of Crime haben wir durch Uwe Bauer, John Cale und David Young von Anfang an die uns gemäße Form, unsere Musik aufzunehmen, gefunden. Wir spielen einfach alle zusammen und nehmen das mit richtig guten Mitteln auf. So machen wir es auch bei Regener Pappik Busch. Bei Element of Crime passieren dann noch viele Overdubs, beim Jazz jedoch nicht. Da muss der ganze Take so bleiben wie er ist. Das hat etwas sehr Puristisches. Wir sprechen auch nur wenig ab und gucken einfach, was passiert. Das hat sehr viel von Abenteuer.

Gerade der Jazz wäre ohne das Langformat Album nicht denkbar. Was passiert mit der Kreativität des Künstlers, wenn dieses Format mit seinen grenzenlosen Möglichkeiten nicht überlebt?
Das Album-Format hat bis jetzt offensichtlich überlebt, obwohl es angesichts von Streaming eigentlich nicht nötig ist. Es kommt den Menschen wohl irgendwie sehr entgegen. Ich bin immer froh, wenn ich merke, dass Leute beim Streaming das ganze Album durchhören. Gegen das Album steht immer die Playlist, was früher die Mix-Kassette war. Früher haben auch manche fünf Stunden Musik auf ein Tonband aufgenommen – auch eigentlich eine Playlist, wie bei Spotify. Ich finde, beides ist okay, aber ich freue mich immer, wenn Leute LPs kaufen. Jazz ist ja nichts, was man in Dauerschleife hört. Und das führt dazu, dass Jazz im Streaming nicht so performen kann und muss wie andere Musik. Damit gilt sich abzufinden und einfach zu sehen, dass man sich auf seine Kunst konzentriert.

Kürzlich protestierten Paul McCartney, Elton John, Sting, Ed Sheeran und andere mit einem stillen Album gegen die Verwendung ihrer Werke für das Training von künstlicher Intelligenz. Sehen Sie eine Möglichkeit, wie KI sich mit dem Urheberrecht vereinbaren ließe?
Nein, weil das auch niemand kontrollieren kann. Am Ende habe ich da aber komischerweise sehr wenig Ängste. Wegen dem, was Thelonious Monk gesagt hat: „Ich liebe Fehler. Sie sind wichtig in der Musik.“ Das menschliche Element in der Kunst kann man weder berechnen noch imitieren. So wie Richard Pappik Schlagzeug spielt, wird niemals eine KI ein Schlagzeug entwerfen können. Deshalb bleibe ich da ein bisschen gelassen. Natürlich ist es eine Unverschämtheit, dass man da schon wieder missbraucht wird und die Techindustrie sich umsonst bedient. Aber das hatten wir auch bei TikTok und YouTube. Deshalb bin ich voller Sympathie für diese Aktion, aber wir dürfen uns nichts vormachen: Sie wird nichts ändern.

Welche Rolle spielen Improvisation und Kreativität bei den Auftritten von Regener Pappik Busch?
Wohl die wichtigste. Das macht jedes Konzert einzigartig und unverwechselbar. Im Guten wie im Schlechten. Es gefällt einem ja nicht immer. Eines der drei besten Konzerte in meinem Leben war in den frühen Achtzigern das Sun Ra Arkestra im Quartier Latin in Berlin. Es war Mindblowing. Ein Weltwunder wie die Pyramiden von Gizeh. Ich glaube, das Unberechenbare ist das wichtigste. Auch ich weiß oft überhaupt nicht, was ich als nächstes spielen werde. Improvisation bedeutet eben, dass es aus dem Augenblick heraus geboren ist. Da kann alles passieren. Deshalb ist es wichtig, sich nicht in Formelhaftigkeit zu verlieren.

Woher wissen Sie bei Trompetensoli, wann Sie anfangen und wann Sie aufhören sollen?
Die Dinge haben ihre Zyklen. „Chamisso Square“ etwa hat einen ganz klaren Zyklus von zwölf Takten. Das hört man natürlich. Und ich muss da nicht hinhören oder mitzählen, das geht irgendwann ins Unterbewusste ein und steuert von da aus alles. Aber man kann bei uns auch da ausbrechen und die Sache ganz anders spielen. Keiner der anderen würde dann in Ohnmacht fallen. Wir sind ja nur zu dritt, da ist man sehr flexibel, und wir sind gut aufeinander eingespielt. Wir wechseln gern mal die Richtung und gehen manchmal auch gegen dieses Zyklische, Regelmäßige an. Das muss alles frei und locker sein, sonst kann man es auch gleich lassen.

Und was geht Ihnen beim Live-Spielen durch den Kopf?
Man muss in die Musik total reinkriechen. Das gilt für alle Musik, die man macht, aber in diesem Fall ist es ganz besonders wichtig. Ich bin der einzige von uns dreien, der oft auch nicht spielt. Aber ich muss trotzdem immer drin bleiben, ich kann und will bei Musik nicht aussteigen. Deshalb kann ich nichts nebenbei hören. Und das hilft mir bei dieser Sache, weil ich immer drin bin und mich blendend amüsiere, weil die anderen so toll spielen. Für mich ist das eine fantastische Position.

Fotos Charlotte Goltermann, Noel Richter

Vergiss nicht, abzustimmen.
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Olaf Neumann

Geschrieben von Olaf Neumann

„Alle rasten radikal aus“

Entspannt mit Freunden, Sommer & Kultur genießen