Verloren in unseren Möglichkeiten?

Schulabsolvent:innen steht die Welt heute offen. Doch wie gehen wir mit all den Möglichkeiten und den damit wachsenden Erwartungen um?

Junge Menschen haben in Deutschland mittlerweile mehr Möglichkeiten als je zuvor. Nur die wenigsten müssen mit ihren Eltern darüber streiten, ob sie studieren oder anderweitig eigene Erfahrungen in der Welt sammeln dürfen. Auch ist es für sie leichter denn je, sich neue Möglichkeiten zu erschließen. Noch vor 50 bis 60 Jahren sah das ganz anders aus.

 

Während sich Jugendliche damals noch mehr oder weniger auf Informationen ihres begrenzten, privaten Umfeldes verlassen mussten, können sie heute auf die geballte Datenmenge von Zukunftsaussichten im Internet zurückgreifen und sich so vollkommen frei von anderen Einflüssen informieren. Mit steigenden Möglichkeiten und dem schier unendlichen Potenzial, das ihnen zur Verfügung steht, wachsen auch die gesellschaftlichen Erwartungen und vor allem der Anspruch an sich selbst, das Beste aus dieser einzigartigen Zeit zu machen.
Viele erinnern sich vielleicht noch: Die Schulzeit neigt sich langsam dem Ende und es stellt sich immer dringender die Frage, wie es danach eigentlich weitergehen soll. Möchte man studieren und wenn ja, was? Vielleicht erstmal schauen, was überhaupt so möglich ist und bei der Suchmaschine des Vertrauens nachschlagen. Die spuckt aber ganze zwanzigtausend Studiengänge für Deutschland aus: Von A wie Architektur bis Z wie Zahnmedizin ist alles dabei. Natürlich fallen viele der Optionen aufgrund von Interesse oder geforderten Kenntnissen schnell raus. Aber mit einem durchschnittlichen Notenschnitt und recht breit gefächerten Interessen bleibt immer noch ein ziemlicher Berg übrig. Obendrauf kommen noch Optionen wie ein Auslandsjahr, ein Freiwilliges Soziales Jahr oder ein Praktikum, die heute quasi schon obligatorisch sind. Besonders viel Zeit zur Entscheidung bleibt einem aber auch nicht; schließlich soll es ja im Leben und vor allem in der Karriere weitergehen. Wie sollen wir uns also in diesem Meer an Möglichkeiten zurechtfinden und dabei noch an eine möglichst erfolgreiche, unseren Wünschen entsprechende Zukunft denken?

In sicheren Gewässern bleiben
Glücklich sind diejenigen, die sich schon ewig sicher zu sein scheinen, wie ihr Leben später mal aussehen soll. Während sich die einen noch im Hörsaal fragen, ob es wohl die richtige Entscheidung war, Byzantinistik zu studieren, konnten die anderen schon in der Mittelstufe sagen, dass sie mal Biologie studieren wollen, um dann Tierärztin zu werden, weil das einfach ein toller Beruf ist. Warum denn auch nicht? Ein festes Ziel vor Augen zu haben und sich nicht dauernd überlegen zu müssen, worauf man überhaupt hinarbeiten will, kann sehr befreiend sein. Viele halten sich auch ans Berufsfeld ihrer Eltern oder suchen sich andere Vorbilder aus dem bekannten Umfeld. Auf jeden Fall geht es direkt nach der Schule weiter Richtung Arbeitswelt. Direkt nach dem Abi und vielleicht gleich noch in der Heimatstadt mit dem Studium zu beginnen bringt auch einige Vorteile mit sich: „Kurz nach dem Abi sind viele Themen aus der Schule und eine gewisse Arbeitsmoral einfach noch präsent“, sagt René, der vor Kurzem sein Studium in Hannover begonnen hat und weiterhin in Braunschweig wohnt.

Mit so einem festen Ziel vor Augen möchte man natürlich auch möglichst schnell und erfolgreich durchs Studium kommen. Sich dabei erst einmal nicht so viele Gedanken über Wohnung, alltägliche Versorgung oder ein neues soziales Umfeld machen zu müssen, kommt da recht gelegen. „Eine große Motivation für mich, gleich in der Heimat mit dem Studium anzufangen, war auch das unbeschwerte Leben zu Hause. Man kann sich voll auf sein Studium konzentrieren und ist im späteren Leben noch lange genug auf sich allein gestellt“, meint René im SUBWAY-Interview. Es ist natürlich angenehm, schon früh eine konkretere Vorstellung vom zukünftigen Arbeitsleben zu haben und potenzielle Einstiegsmöglichkeiten lassen sich dadurch oft leichter finden. Auch finanziell ist man so vermutlich zunächst auf der sicheren Seite. Aber sollte man deswegen immer in der eigenen Komfortzone bleiben, ohne dabei mal über den Tellerrand zu schauen und etwas Neues auszuprobieren, dass vielleicht sogar besser sein könnte?

In 80 Tagen um die Welt
Der Gegenentwurf zu jenen, die lieber an Gewohntem festhalten, sind dann wohl die Menschen, die es kaum abwarten können, aus der Schule zu kommen, um neue Erfahrungen zu sammeln. Ein Jahr mit dem DRK im Krankenhaus in Ghana, ein FSJ an einer Schule in Griechenland oder mit dem Van durch Australien touren. Es gibt viele Möglichkeiten, dem heimatlichen Dunstkreis zu entkommen und den eigenen Horizont ein wenig zu erweitern.
Auch Rosa will die Zeit nach dem Abitur nutzen, um neue Erfahrungen zu machen und absolviert ab März ein FSJ in Serbien: „Da ich jetzt gerade angefangen habe zu studieren, folge ich eigentlich schon einer recht typischen Struktur. Das FSJ bietet mir aber nochmal die Möglichkeit, Einblicke in ein komplett anderes Themenfeld zu bekommen“, erklärt sie auf die Frage hin, ob sie lieber direkt einem Plan folgt oder einfach mal schaut, was so möglich ist. Es ist natürlich keine Selbstverständlichkeit, sich nach der Schule ganz entspannt überlegen zu können, was man jetzt eigentlich machen will. Aber gerade deshalb sollte man versuchen, diese einzigartige Chance wahrzunehmen: Das eigene Leben mal aus einer anderen Perspektive zu betrachten und neue Orte, Menschen und Lebensweisen kennenzulernen. Das kann für die persönliche Entwicklung sehr wichtig sein und sich auch maßgeblich aufs spätere Leben auswirken.

Für viele scheint es zum Beispiel selbstverständlich, das ganze Leben in Deutschland zu verbringen. Aber könnte man nicht auch woanders glücklich werden? Während so ein Gap Year früher noch öfter als faules Nichts-tun abgestempelt wurde, sind Auslandserfahrungen und Selbstständigkeit, die dabei entwickelt werden, heutzutage auch in der Arbeitswelt durchaus gefragt. Ein Jahr Pause, in welcher Form auch immer, muss also keinesfalls einer erfolgreichen Karriere im Wege stehen. Je nachdem, was man in der Zeit so macht, kann es diese sogar fördern. Natürlich kann ich auch später mit einem festen Job in der Tasche ein bisschen die Welt bereisen und über mein Leben nachdenken. Allerdings bin ich dann höchstwahrscheinlich ziemlich an das strukturierte Arbeitsleben gebunden und mit knapp 30 Tagen Urlaub pro Jahr ist es schon etwas schwieriger, mal Abstand vom Alltag zu bekommen. Die Zeit nach dem Abitur oder im Studium hingegen eignet sich perfekt dafür, weil man dort oft einfach noch weniger Verpflichtungen hat.

Wie ist das nun mit den ganzen Möglichkeiten?
Freut euch über die Auswahl, auch wenn sie zunächst etwas erschlagend wirken mag. Es ist ein ziemliches Privileg, von zu vielen Zukunftsaussichten überfordert zu sein und wem alle Wege offen stehen, der sollte diese auch nutzen. Natürlich gibt es Dinge, die einen vielleicht einfach nicht interessieren und selbst von den eigenen Interessen kann man nicht alle wahrnehmen. Aber das muss man ja auch nicht. Traut euch einfach mal, in See zu stechen und die Dinge auszuprobieren. Setzt euch lieber hohe Ziele, die ihr vielleicht nicht ganz erreicht, bevor ihr aus Angst zu tief stapelt. Selbst wenn sich eine Auslandsreise oder Ähnliches als falsche Entscheidung herausstellt; zum Gewohnten kann man im Zweifelsfall immer noch zurückkehren.

 

Text Moritz Reimann
Foto The Cheroke-stock.adobe.com

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Geschrieben von oeding_admin

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