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„Urlaub ist ja auch eine Flucht.“

„Oh Boy“-Macher Jan-Ole Gerster zum Psychokrimi „Islands“

Gleich mit seinem Debüt „Oh Boy“ gelang Jan-Ole Gerster 2012 der große Coup. Die lakonische Geschichte um einen jungen, sensiblen Berliner, gespielt von Tom Schilling, bekam glänzende Kritiken, wurde mit mehr als 20 Filmpreisen überhäuft und lockte über 350.000 Besucher in die Kinos. Sieben Jahre hat es gedauert, bis der Regisseur seinem Abschlussfilm den zweiten Streich folgen ließ. „Lara“ erzählt die Geschichte einer ehrgeizigen Mutter, gespielt von Corinna Harfouch, die ihrem Sohn, wiederum Tom Schilling, das Leben schwer macht. Nun folgt mit „Islands“ der dritte Streich. Diesmal spielt Sam Riley den Helden, der als Tennislehrer auf seiner Urlaubsinsel plötzlich in eine Krise schlittert. Die Premiere fand auf der Berlinale statt, dort unterhielt sich unser Mitarbeiter Dieter Oßwald mit dem Regisseur.


Herr Gerster, schon wieder erkennt Ihr Filmheld, dass es vielleicht doch nicht so toll war, was er gemacht hat. Schöner Scheitern mit Jan-Ole. Teil drei?

Gerster Diese Figuren scheinen mich zu verfolgen. (Lacht) Ich habe es nicht bewusst zu meinem Thema gemacht, aber nach dem dritten Film ist mir auch aufgefallen, dass es eine Linie gibt. Bei den ersten beiden war mir das noch nicht so klar, doch jetzt, mit dem dritten, habe ich mich gefragt, was mich an diesen Figuren so fasziniert. Viele Filmemacher kreisen um ihre Themen, bewusst oder unbewusst. Vielleicht liegt es auch daran, dass mich diese Figuren auf einer tieferen Ebene berühren und ich ihnen einfach folgen muss.

Liegt das vielleicht an dem Dozenten, der dir damals empfohlen hat, den Beruf zu wechseln? Sollte der Film ihm gewidmet werden?
Das habe ich längst abgeschüttelt. Wir können gerne darüber sprechen, aber heute sehe ich das mit Abstand und einer gewissen Gelassenheit. Ich sitze hier auf der Berlinale und bin stolz darauf, meinen Film präsentieren zu dürfen – das spricht für sich. Damals als Student hat mich diese Kritik natürlich erschüttert. Es war ein Schlag, der mich verunsichert hat, aber zum Glück nicht davon abgehalten hat, meinen eigenen Weg zu gehen. Heute kann ich darüber schmunzeln.

Der Titel hätte auch heißen können: „Das Leben der anderen“…
Stimmt, die Figuren nehmen für eine gewisse Zeit am Leben der anderen teil, weil sie etwas suchen, das ihnen fehlt. Unsere Hauptfigur, der Tennistrainer, bekommt eine Idee davon, was es bedeutet Vater zu sein und Verantwortung für eine Familie zu übernehmen. Gleichzeitig brechen sich beim eigentlichen Familienvater ganz andere Sehnsüchte Bahn. Sie alle treten kurz in ein anderes Leben ein, fast wie auf einer Art Urlaub – aber am Ende kehren sie in ihre gewohnten Bahnen zurück. Vielleicht ist es genau das, was mich daran interessiert: diese Sehnsucht nach Veränderung und die scheinbare Unfähigkeit, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Man glaubt etwas verändern zu können und landet dann doch wieder dort, wo man herkommt.

So ganz eindeutig wird nicht klar, was die Verführerin im Schilde führt. Was ist Ihre Version?
Die Geschichte spielt bewusst mit Mehrdeutigkeiten und verschiedenen Möglichkeiten. Der Film lässt Spielraum für Interpretationen, ohne eine eindeutige Antwort zu geben. Diese mysteriöse Note um die weibliche Hauptfigur greift genau das auf: Was sind ihre Beweggründe? Wir erfahren, dass sie unbedingt an diesen Ort reisen wollte, obwohl die Familie wie ein Fremdkörper zwischen all den all-inclusive Urlaubern wirkt. Sie besteht auf Einzelunterricht für ihren Sohn und lädt den Trainer zum Abendessen ein. All das könnte darauf hindeuten, dass sie einen Plan verfolgt – oder auch nicht. Dieses Mysterium und die Doppelbödigkeit ihres Verhaltens sind durchaus gewollt.

Vor Kurzem war Sam Riley noch als John Cranko auf der Leinwand. Was sind seine Qualitäten?
Gerster: Sam hat klassische Moviestar-Qualitäten. Schon rein äußerlich hat er eine beeindruckende Präsenz: ein gut aussehender Mann mit sanften Augen und einem leicht unsicheren Lächeln. Das macht ihn vielschichtig und interessant – man kann viele Brüche in ihm erkennen oder zumindest auf ihn projizieren. Als Schauspieler besitzt er eine bemerkenswerte Durchlässigkeit. Ohne große Worte lassen sich seine inneren Prozesse nachvollziehen. Er muss nichts erklären, wir verstehen einfach, was in ihm vorgeht.

Wie haben Sie das Hotel überredet, als Kulisse zu dienen? Das Zimmer 555 ist super, aber das andere Zimmer ist nicht unbedingt die beste Werbung.
Es gab das Gerücht, dass in der Zentrale in Madrid ein großer Kinofan sitzt, der unbedingt wollte, dass wir in diesem Hotel drehen. Die Leitung vor Ort war anfangs skeptisch, aber am Ende fanden die Touristen es spannend. Statt fernzusehen konnten sie uns am Pool bei der Arbeit zusehen. Sam hat das mit einer unglaublichen Geduld mitgemacht, Autogramme gegeben, Fotos gemacht. Es war also eine gute Erfahrung – der Einzige, der wirklich gelitten hat, war unser Tonmann. Der hatte mit dem ganzen Geklapper und Geschrei am Pool natürlich seine Schwierigkeiten.

Drehen mit Tieren ist generell kein Ponyhof, wie war die Erfahrung mit Kamelen?
Unser Tiertrainer hatte ein gutes Verhältnis zu seinem Tier. Das Kamel selbst hatte allerdings nicht unbedingt ein gutes Verhältnis zur Kamera. Mal lief es nach links, mal nach rechts, mal knabberte es an einer Palme, mal urinierte es mitten in die Szene. Und dann, im allerletzten Tageslicht, beim achten Versuch, passte plötzlich alles: Die Kamerafahrt, das Licht, das Schauspiel – und das Kamel machte genau das, was es sollte. Das sind die magischen Momente beim Filmemachen, die man nicht planen kann, aber wenn sie passieren, weiß man sofort: Das war es.

Das Kamel darf sogar an einem Seil aufgehängt per Helikopter fliegen. Was hat es damit auf sich?
Ich habe lange für Wolfgang Becker gearbeitet, und in „Good Bye, Lenin!“ gab es die berühmte Hubschrauber-Szene mit der Lenin-Statue. Diese wiederum spielte auf „La Dolce Vita“ an, wo eine Jesusfigur durch die Luft schwebt. Es gibt also eine gewisse Linie ikonischer Bilder, in die ich mich hier einreihe. Natürlich ohne zu viel zu verraten!

 

 

 

 

 

 

Es gibt ja noch weitere Anspielungen – Ihr Tom könnte mit Nachnamen Ripley heißen…
Tom Ripley ist eine meiner absoluten Lieblingsfiguren der Literatur – auch er flüchtet sich in eine andere Identität. Meine Hauptfigur Tom ist zwar kein Krimineller, aber auch er fühlt sich in seiner eigenen Haut nicht zu Hause. Diese Art von Figuren interessiert mich: Menschen, die wie Zaungäste auf die Welt um sie herum blicken. Eine Sehnsucht haben, am Leben teilzunehmen, aber offensichtlich Schwierigkeiten haben den Zugang zu finden. Die Figuren meiner ersten beiden Filme sind meiner jetzigen Hauptfigur in diesem Punkt sehr ähnlich.

Es gibt viele starke Bilder. Wie hält man die Balance zwischen Stil und Story?
Wir hoffen natürlich, dass wir Goldene Tourismusmedaille von Fuerteventura verliehen bekommen – das wäre der einzige Preis, den wir wirklich wollen! Aber im Ernst: Die Landschaft hat eine unglaubliche Kraft. Wir wollten diese rohe, ungeschliffene Schönheit einfangen. Die rauen vulkanischen Landschaften, die traumhaften Strände, aber eben auch den harten Kontrast zu der in die Jahre gekommenen Urlaubsarchitektur. Der Film lief nie Gefahr, sich in einer Postkartenästhetik zu verlieren. Dafür liefert die Insel visuell zu viele interessante Brüche und Kontraste.

Was sollen die Leute aus dem Film mitnehmen?
Ich mag es, wenn Filme keine fertigen Antworten liefern, sondern Fragen aufwerfen. Meine Figuren erleben Veränderungen, aber ich zeige nicht explizit, wie ihr Leben danach weitergeht. Es ist vielmehr so, dass meine Hauptfiguren ihren Selbstbetrug erkennen. Sie realisieren, bis zu einem gewissen Grad, was ihnen fehlt oder was sie ändern müssen. Aber anstatt ein Happy End zu erzählen, lasse ich meine Figuren lieber mit ihrer Erkenntnis und der Frage, was sie mit dieser Erkenntnis machen, allein zurück – natürlich in der Hoffnung, dass der Zuschauer diese Frage auch auf sich selbst überträgt.

Fotos LOENINE

Vergiss nicht, abzustimmen.
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Dieter Osswald

Geschrieben von Dieter Osswald

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