Gott ist eine Frau

In der Sonderausstellung „Göttinnen des Jugendstils“ beleuchtet das Braunschweigische Landesmuseum bis zum 10. September verschiedene Aspekte des Frauenbildes der damaligen Zeit.

Jugendstil – wahrscheinlich sind die meisten in der Schule über diesen Begriff gestolpert. Hängengeblieben ist letztendlich: Irgendeine Epoche in der Kunst. Aber was steckte nochmal genau dahinter?
Als zentrales Motiv taucht immer wieder die Natur auf: Viele florale, märchenhafte Muster, häufig in Verbindung mit dem Weiblichen. So ranken sich lange Haare um – meist unbekleidete – Frauenkörper.

 

Das Landesmuseum spiegelt dies in der Architektur der Ausstellung wider. Der Rundgang schlängelt sich an vier Themenschwerpunkten entlang über zwei Stockwerke.

Erster Teil:
Menschenbilder im Wandel
Mit dem Jugendstil befinden wir uns in einer Zeit des gesellschaftlichen Umbruchs. So gehören beispielsweise 98,7 Prozent der Menschen dem christlichen Glauben an, gleichzeitig gewinnen jedoch die Thesen des Philosophen Friedrich Nietzsche à la „Gott ist tot!“ an Popularität. Außerdem wird die Prüderie allmählich abgelöst, indem sich 1895 der erste FKK-Verein gründet. Wie all diese Gegensätze die Kunst beeinflussen, wird von ca. 1890 bis 1914 im Jugendstil sichtbar. Die widersprüchlichen Gefühle finden ihren Ausdruck in Frauenbildern. Diese reichen von wunderschönen, fast engelsgleichen Figuren (Alfons Muchas Büste „La Nature“) bis hin zu stark überzeichneten, horrorähnlichen Darstellungen (Gustav Klimts Bild „Hexe“).

Zweiter Teil:
Rollenbilder im Wandel
Die Frauen (der bürgerlichen Mitte) suchen ihren Platz in der Gesellschaft und hinterfragen ihre Rolle als Mutter und Hausfrau. Sie kämpfen für das Wahlrecht, gehen arbeiten oder finden in einigen Sportarten statt. Zudem ist das Damenrad im Kommen, die Kleider werden weiter und damit alltagstauglicher. Das Landesmuseum zeigt dies sehr anschaulich anhand exakt dieser Objekte, ergänzt durch zahlreiche, im Jugendstil gehaltene, Alltagsgegenstände – darunter ein Nachttopf von Villeroy und Boch.

Dritter Teil:
Lebenswelten im Wandel
Die Industrialisierung erlebt ihre Hochphase, die Städte wachsen, Autos kommen auf, die Arbeiter:innenbewegung organisiert sich und die Elektrifizierung erblickt – im wahrsten Sinne des Wortes – das Licht der Welt. In der Ausstellung sind unter anderem Werbeplakate zu bewundern, die nun den Konsum ankurbeln. Als zentrale Botschafterin dient: Die Frau.
Neben dem enormen Fortschritt hat die Zeit jedoch auch ihre Schattenseite. So streckt der grausige Kolonialismus seine Arme aus.

Vierter Teil:
Künstlerinnen des Jugendstils
In der Kunst sehen wir eine moderne Frau, die raucht oder Rad fährt, aber war es mit der Gleichberechtigung um 1900 wirklich schon so weit? Darüber lässt sich streiten. Fakt ist, dass die meisten (und bekanntesten) Jugendstilkünstler Männer sind. Mädchen dürfen lange kein Abitur machen, geschweige denn studieren. Im letzten Ausstellungsteil lässt das Landesmuseum daher sechs Künstlerinnen glänzen. Darunter ist die französische Schauspielerin – und erster Weltstar – Sarah Bernhardt oder die Braunschweiger Fotografin Käthe Buchler.
Mit „Göttinnen des Jugendstils“ lädt uns das Braunschweigische Landesmuseum auf eine Zeitreise ein, die zugleich brandaktuelle Diskussionen entfacht.

Mitmachen
Was empfinde ich beim Betrachten der Objekte, mit wem aus der damaligen Zeit hätte ich mich am besten verstanden und was passierte eigentlich in der Politik? All diese Fragen lassen sich an insgesamt fünf Medienstationen ergründen.

Unbedingt anschauen
Das Highlight der Ausstellung ist mit einer Höhe von 3,79 Meter auch gleichzeitig das größte Objekt: Der Jugendstil-Windfang (um 1900) des damaligen Fotografen Adolf Herbst aus Wolfenbüttel.

Das Besondere
Das Ausstellungskonzept ist in Kooperation mit dem Allard Pierson Museum Amsterdam und dem Badischen Landesmuseum Karlsruhe entstanden. In den beiden Städten war die Ausstellung bereits in den vergangenen zwei Jahren zu sehen.

Wusstest du schon?
Die Jugendstil-Bewegung verdankt ihren Namen der Münchner illustrierten Wochenzeitschrift „Jugend“, deren Cover meist eine Frau zierte. In Frankreich hieß die kunsthistorische Epoche „Art Nouveau“, in England „Modern Style“.

Fotos Laura Schlottke

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Laura Schlottke

Geschrieben von Laura Schlottke

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