Mit Autorin Jennifer Albrecht im SUBWAY-Interview
Jennifer wurde 1991 in Salzgitter geboren und ist dort auch groß geworden, wo bei sie als Teenager schon zum Punkrock gefunden hat. Auch im Schreiben findet sie hier Inspiration für ihre Texte, die sich mit Themen wie Gewalt, Liebe und Außenseitern auseinandersetzen. So realitätsnah wie möglich – trotzdem mit einer Prise Humor und Hoffnung.
Liebe Jennifer, jede:r Autor:in hat seine/ihre eigene Geschichte, wie alles mit dem Schreiben begann. Wann ist bei dir die Leidenschaft entfacht?
Bereits als Kind habe ich gerne gelesen und mir Geschichten ausgedacht. In einem meiner Grundschulzeugnisse ist auch der Vermerk „Jennifer hat Freude am Schreiben kleiner Geschichten.“
Das Schreiben bzw. sich das Ausdenken von Geschichten war mir immer schon ein Bedürfnis. In meinem Kopf herrscht permanent Chaos, ich nehme (manchmal zu) viele Details wahr und versuche immer alles mögliche zu verstehen. Das Schreiben hilft mir, meinen Fokus auf etwas zu lenken, daraus etwas zu erschaffen und mich auszudrücken.
Eine starke Frau aus dem Rotlicht-Milieu steht im Fokus der Handlung. Was hat dich zu der Storyline inspiriert?
Ich mochte schon immer viele typische „Jungs-Sachen“ und habe viele männliche Vorbilder. Daher wollte ich eine Story schreiben, die ähnliche Elemente/Themen hat, aber mit einer Protagonistin – also aus einer weiblichen Sicht. Nicht einfach nur einen stumpfen „Genderswap“, sondern nuancierter. Nancy ist gewiss kein gutes Vorbild und sollte sie nie sein. Sie raucht und trinkt (zu viel), ist gewaltbereit – ist aber gleichzeitig verletzlich und hat ihre Schwächen.
Bis ich die tatsächliche Storyline hatte, brauchte ich ein paar Anläufe. Weil ich am Anfang nur Nancy und das Setting hatte. Dass es am Ende unter anderem ein Liebesroman wurde, hat mich selber überrascht.
Autor:innen verwenden gern eigene Charakterzüge, Vorlieben oder besondere Fähigkeiten für ihre Figuren. Wie viel Jennifer finden wir zum Beispiel in der Protagonistin Nancy wieder?
So einiges. Viele, die mein Buch gelesen haben und mich kennen sagen auch: „Ich habe nichts anderes erwartet.“ Für mich ist Nancy auch ein Stück weit Ventil. Ich kann sie Sachen machen lassen, die in der realen Welt nicht so glimpflich ausgehen würden. Zudem kann ich eigene Erfahrungen mit ihr ausdrücken, wenn auch in abgewandelter Form. Was Nancy und ich noch gemeinsam haben, ist, dass wir beide kreuzdominant sind. Das heißt wir sind Rechtshänderinnen, aber wir zielen mit dem linken Auge.
Welche Botschaft oder welches Gefühl möchtest du deinen Leser:innen mit auf den Weg geben?
Das nicht alles schwarz und weiß ist, sondern ambivalent. Besonders Menschen. Ich möchte ungewohnte – für manche vielleicht auch unbequeme Perspektiven eröffnen. Und das möglichst wertfrei. Was man am Ende für sich daraus mitnimmt, ist den Leser:innen selbst überlassen.
Du publizierst im Selbstverlag. Wolltest du unabhängig von Verlagen sein oder wie kam es dazu?
Ich habe lange an meinem Debütroman gesessen, da wollte ich es nicht von einem Verlag abhängig machen ob das Buch überhaupt veröffentlicht wird. Oder dass es noch so verändert wird, damit es „markttauglicher“ oder in ein Genre gepresst wird. Außerdem hatte ich schon immer eine Punk-DIY-Mentalität.
„Switchblade Beauty“ – das klingt nach einer Mischung aus Gefahr und Glamour. Wie bist du zu diesem Künstlernamen gekommen?
Genau diese Mischung gefällt mir auch. Es erinnert mich auch ein wenig an Mackie Messer aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht. Ich mag auch die Ästhetik von Klappmessern und besitze auch ein paar hübsche mit bunter Klinge.
Auf jeden Fall stehen bei dir viele Lesungen und Events 2025 an. Wie aufgeregt bist du und was nimmst du für dich am Ende daraus mit?
Ich freue mich schon riesig darauf. Ich hoffe viele neue Leser:innen zu erreichen, interessante Kontakte zu knüpfen und auch andere Städte zu sehen.
Gibst du uns einen Ausblick in die Zukunft, wie es für dich und deine Buch-Projekte weitergeht?
Derzeit ist mein neuer Roman „Neonschein & Zwielicht“ in Arbeit und habe mich an das Genre Fiction Noir probiert. Die Geschichte ist inspiriert von Hardboiled-Detective-Stories der 1940er Jahre wie z. B. Der große Schlaf von Raymond Chandler. Aber bei mir natürlich wieder mit einer Protagonistin und einem etwas anderen Fokus.
Für nächstes Jahr habe ich „Revolver im Strumpfband Vol. III“ geplant, aber da habe ich keinen genauen Zeitplan. In den letzten zwei Jahren habe ich an drei Büchern gearbeitet und hatte dabei beim Schreiben viel Zeitdruck und Stress. Auch zum Leidwesen meiner Lektorin. Daher werde mich mehr auf das Marketing konzentrieren. Das heißt Lesungen abhalten und auf Buchmessen stehen.
Kurz gesagt…
Wie hast du die Atmosphäre und Authentizität der Rotlichtszene recherchiert und eingefangen?
Die Frage bekomme ich häufig gestellt und habe jedes Mal das Gefühl, dass ich die Leute mit meiner Antwort enttäusche. „Feldstudien“ hab ich nie betrieben. Ich habe viel darüber gelesen und mir Dokumentationen/Reportagen angeschaut. Ich kenne auch Leute, die damit Erfahrung haben und mir ein paar Dinge erzählt haben.
Dass es so authentisch wirkt, ist ein schriftstellerischer Kniff: So vage wie möglich bleiben, trotzdem entscheidende Details reinbringen. Die Lücken werden dann von der Fantasie/Erwartung der Leser:innen gefüllt. So bleibt es glaubwürdig.
Gab es vielleicht verrückte oder zumindest sehr einprägsame Begegnung bei deinen Recherchen zum Buch?
Ich selber nicht, da ich ja lieber aus der „Ferne“ recherchiert habe. Einer der Gründe dafür war, dass mir jemand mal erzählt hatte, dass die Damen auf andere Frauen manchmal sehr feindselig reagieren können. Wie weit das tatsächlich stimmt, wollte ich erst gar nicht austesten.
Wo würdest du dich mit deiner Protagonistin Nancy gerne mal treffen und warum?
Ich würde gerne mit ihr mal Schießen gehen. Ich hatte noch nie einen echten Revolver in der Hand (nur als Luftpistole) und sie kann mir bestimmt ein paar Tipps geben.
„switchblade beauty“ – Eine Anekdote zum Künstlernamen!
Ich hatte den Namen kurzfristig für eine Band benutzt. Wurde aber leider nichts.
Bei den Songs im Buch handelt es sich um deine persönlichen Lieblingslieder oder sind sie einfach passend zur Stimmung gewählt?
Beides. Aus der Musik ziehe ich viel Inspiration und brauche zum Schreiben auch immer welche. Die Songs im Buch spiegeln auch häufig die Stimmung der Szene wieder oder sind wie kleine Easter Eggs.
Hast du mal ein „verrücktes“ Kompliment zu deinem Text bekommen, das du nicht vergessen wirst, weil es so skurril war?
Der Buchblogger Oliver Stark (@e_book_kindler) hat auf Instagram mein Buch mal so zusammengefasst: „Ein Liebesroman, der keiner ist, obwohl er einer ist.“
Und es passt einfach perfekt.
Welches Tabu würdest du gerne einmal mit deinem Geschichten brechen?
Eigentlich gibt es so gut wie kein Tabus mehr, die nicht schon in irgendeiner Form gebrochen wurden. Aber falls es darunter fällt: Sympathie. Im Sinne von „gemocht werden“. Weil es subjektiv ist. Meiner Meinung nach müssen Figuren nicht immer sympathisch, sondern interessant sein.
Foto privat