Ausstellung erotischer Zeichnungen von Horst Janssen im Städtischen Museum Braunschweig.
An einem sonnigen Morgen fahre ich zum Löwenwall, um mir im Städtischen Museum die aktuelle Ausstellung von Werken des Hamburger Künstlers und Enfant terrible Horst Janssen anzusehen. Der Titel der Ausstellung klingt in meinen Ohren überzogen, doch ich soll gleich eines Besseren belehrt werden: „Sex, Gewalt und andere Obsessionen“ heißt sie und das passt wie angegossen. Zu dem Zeitpunkt, als ich den Eingang des Museums suche, kenne ich von Janssen jedenfalls nur ein paar vermeintlich harmlose Zeichnungen. Ich betrete das Städtische Museum, werde sehr freundlich empfangen (an dieser Stelle einen herzlichen Dank an das zuvorkommende Personal), lande dann quasi direkt in der Ausstellung, wo meine Reaktion von einer anderen Person beobachtet wird. Das heißt, ich werde ohne es zu ahnen in flagranti beim Voyeurismus ertappt, als ich das erste Bild anstarre. Was ich sehe, sind zwei nackte junge Menschen auf einem liegenden Körper sitzend, die eine Art Sextoy in das gequälte Gesicht des Niedergestreckten drücken. Der Titel dieser Radierung von Janssen lässt die Wut des Künstlers über eine Kritik erahnen: „Einem Journalisten wird das Maul gestopft.“ Keine Miene verziehend mache ich ein paar Notizen und ziehe weiter zu den nächsten Zeichnungen.
Feine Linien, grobe Motive
Ich bin fasziniert von den feinen Linien, mit denen Janssen Albträume und Sexfantasien zu Papier bringt. Wiederholt finden sich sadistische Motive wie zum Beispiel dünngespannte Seile zwischen Brustwarzen oder Bondage-Gurte in den Bildern des Künstlers, der sich in Hamburg auch einen Ruf als exzessiver Trinker mit einem Hang zu Wutausbrüchen gemacht hat. Die Geschichten erinnern mich an Charles Bukowski, für den ich eine mehr oder weniger heimliche Schwäche habe und der als Schriftsteller ebenfalls für sexistische, erotische Darstellungen bekannt ist. In der Ausstellung wird nichts davon verhüllt. Es springt einem förmlich ins Gesicht, dass es sich hier um die Perspektive eines cis-Mannes mit sexuellen Machtfantasien über weibliche Körper handelt.
Sex, Tod und Teufel
Was mich irritiert, sind nicht nur die einseitigen Darstellungen oder die Verwirrungen von Körperteilen, die zum Teil unabhängig vom Rest der Körper auftauchen, sondern insbesondere die leeren Blicke der weiblichen Gestalten, die verträumt und unbeteiligt wirken. Und das obwohl sie entblößt sind, ausgehungert, teilamputiert und zum Großteil von Teufeln oder anderen Genitalwesen penetriert dargestellt werden. Lose Körperteile tauchen oft bloß als Knochen in den Bildern auf. Immer wieder lohnt sich ein genauer Blick und letztendlich bleibt es oft im Ungewissen, zu wem oder was ein Körperteil gehören mag. Eine Vulva sitzt allein – einer Eule gleich – auf einer Art Kleiderstange. Sie trägt dabei einen Helm („Phyllis: Mädchenzimmer“ von 1978). Meinen Blick kann ich auch von den zartgeflügelten Testikeln an einer Rosenblüte, die als zarte Zeichnung den Hintergrund dekorieren, nicht wenden („Brief an Mirjam, Blatt 16“ von 1984). Es erinnert mich an Tattoo-Motive. Wie das Steißgeweih in den 90ern. Durch Janssen wurde jedenfalls auch der lose Arm von Verena von Bethmann-Hollweg berühmt, der dritten (?) Ehefrau Janssens, der sich als Radierung und Zeichnung in seinen Werken findet. Janssen selbst nannte diesen Fokus oder Fetisch seine „Arm-Seeligkeit“.
Harter Tobak
Ein Blick in das Gästebuch des Städtischen Museums offenbart die Gespaltenheit der Meinungen. Es findet sich Ärger und Wut über die binären Darstellungen und Sexualisierung. Ich lese die sich anschließende Bemerkung: „Janssen ist zum Glück total out.“ Es fallen aber auch Begriffe wie „beeindruckend“ oder „interessant“ in den Eintragungen der Gäste. Die Intensität der Eindrücke wird gelobt. Zu Recht moniert jemand die Verwechslung der Begriffe ‚Vulva‘ und ‚Vagina‘ auf einer der Tafeln. Für mich jedenfalls ist der Besuch nicht ohne. Einige Male muss ich ganz schön schlucken, besonders wegen der geballten Ladung Einblick in erotische Fantasien, die in ihrer Masse schwer zu ertragen sind. Genial finde ich die hauchzarte Linienführung Janssens, seine Kompositionen, die Mehrdeutigkeiten und Skurrilität in den Details. Cappuccino und Schmand-Stachelbeer-Torte in der kleinen Rösterei im Magniviertel trösten mich nach dem Besuch über den Schreck hinweg.
Eine Kneipenlegende
Horst Janssen wird 1929 in Hamburg geboren. Sein Vater ist unbekannt und seine Mutter stirbt, als er 13 Jahre alt ist. Er lebt dann bei seiner Tante und studiert nach dem Zweiten Weltkrieg an der Landeskunstschule. Nach dem Studium macht er sich als Grafiker und Künstler schnell einen Namen. In der Stadt wird er darüber hinaus für seine regelmäßigen Ausbrüche bekannt. Er ist ein berüchtigter Trinker, der oftmals über die Stränge schlägt und seine Beherrschung gegenüber den Mitmenschen verliert. In seinen jungen Jahren steht er wegen eines Mordversuchs vor Gericht und ruhiger um ihn wird es wohl erst mit seinem Umzug in das Hamburger Nobelviertel Blankenese, wo er dann zuhause seine Exzesse ausleben kann und weniger andere in Mitleidenschaft zieht. 1995 verstirbt Janssen in Hamburg an den Folgen eines Schlaganfalls. Einer der Menschen, mit dem ich mich bei meinem Besuch im Museum unterhalten habe, hat ihn zu Lebzeiten getroffen. Das war in der Bar Titanic in Altona. Ein Säufer und Haudrauf sei er gewesen. Wenn er mal wieder vor Wut Mobiliar zertrümmert hat, habe der Wirt nur die Hand aufgehalten und Janssen legte ein paar Scheine hinein.
Fotos Galerie Brockstedt Berlin, Andrey Gradetchliev