Neue Ausstellung im Paritätischen Braunschweig konfrontiert mit zeitgenössischen Phänomenen
Love, Peace and a little bit of: go fuck yourself“ – diese Worte zierten das erste Kunstwerk, das Alexander Lachmann Anfang des Jahres auf Folie erstellte. Von Floskeln hält der gelernte Werbekaufmann nichts. Davon gibt es in der Marketing-Branche genug, genauso wie von zu großen Egos, die sich gegenseitig übertrumpfen wollen, findet der selbstständige Creative Director, der sich unter „iwrotethisshit“ einen Namen gemacht hat. In Zusammenarbeit mit Kunden wie adidas, Lufthansa, Mercedes-Benz und -AMG war er in 20 Jahren Werbebranche auf der ganzen Welt unterwegs, arbeitete mit Fotografen wie Rankin, bekannt aus der Show Germany’s Next Topmodel, und vielen weiteren zusammen. Nach einem persönlichen Schicksalsschlag vor zwei Jahren begann er, anders über das Leben nachzudenken und sich Fragen zu stellen.
„Alles sind jetzt brav, keiner ist mehr brave“
Seine Geschichten im Marketing leben von Sprache, Überraschung, Auseinandersetzung, Mut und Interpretation, anstatt von generischen Buzzwords, die immer gleiche Botschaften vermitteln. Dennoch werden viele seiner Konzepte genau aus diesem Grund von Kund:innen kritisiert und wieder über den Haufen geworfen. Die Frustration über wenig Tiefgang und fehlende Veränderungsbereitschaft führt ihn direkt vor die Staffelei. „Kunst fragt nicht nach ‚Deliverables‘. Kunst fragt dich: Meinst du das ernst? Und das ist eine brutalere Frage als jede Präsentation“, beschreibt er. Ein großer Unterschied zur Werbung, führt er aus: „Werbung bewertet alles – Reichweite, KPIs, Awards. Nur nicht, wie es sich anfühlt.“ Seine Werke zwinkern ihren Zuschauenden zu oder erwischen sie eiskalt, konfrontieren sie, fordern sie zu Reflexion heraus und verlangen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit. Oder wie der Künstler es formuliert: „Ich will dich treffen. Mitten im Bauch. Manchmal auch am Hals. Im Gesicht. Im Kopf. Herzen. Was weiß ich wo. Einfach treffen.“
„I wrote this shit“
Die Story hinter dem Namen spielt sich während eines Kundenauftrags in London bei einem Pre-Production-Meeting für einen neuen Werbefilm ab. Alexander kann seine müden Augen kaum offenhalten, als sich alle Beteiligten am Set vorstellen und sich gegenseitig mit ihren Jobbeschreibungen zu übertrumpfen versuchen. Als er an der Reihe ist, stellt er sich seinen titelfanatischen Partner:innen mit „Hi. I’m Alex and I wrote this shit“ vor. Ein Kollege wirft ergänzend seinen Titel in den Raum. Seine knappe Vorstellung sei keinesfalls dispektierlich gemeint, er habe nur die permanente Selbstdarstellung satt: „Dieses ewige Gegockel. Wer hat den größeren. Leider stellt sich niemand die Frage: Was genau hast du hier beigetragen? Warum bist du hier?“ Und warum diese Wortwahl? „Ich habs geschrieben. Es gehört mir. Es geht nicht um Ego. Und weil das „shit“ alles relativiert. Ich nehme das Schreiben ernst – aber nicht mich“, beschreibt der Selbstständige.
„Alle machen Content, niemand macht mehr Inhalt“
Nach seiner Reha 2023 steht für Alexander fest: Er muss etwas ändern. Er sortiert sich neu, denkt an alte Träume, neue und ausgetretene Wege, zieht los in andere Richtungen und erstmal von Hamburg nach Timmendorf. Dort ist er weiterhin selbstständig als kreativer Kopf im Marketing tätig, widmet sich aber auch anderen Projekten. In der Kunst findet er ein Ventil, seine Wahrheit zu erzählen und seinen Beobachtungen bezüglich gesellschaftlicher, sprachlicher und kommunikativer Entwicklungen eine Fläche zu geben. „Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder“ ist der Name seines Kunstprojektes. Aus gegebenem Anlass: „Wir kommunizieren nicht mehr miteinander. Eine damalige Kollegin von mir hat immer gesagt: ‚Ist doch klar‘. Aber es war nur ihr klar und ihrem Gegenüber nicht. In Gesprächen findet oft ein Entgegenschleudern von Sätzen und Meinungen statt, aber kein offener Austausch, der Zuhören erfordert“, meint der Creative Director. Dem wirkt er entgegen, macht Sprache in seinen Bildern durch die Kombination von knalligen Farben und provokanten Worten sichtbar. Seine Werke sind laut und wollen auffallen – ihm selbst ginge es schon lange nicht mehr darum, der Lauteste zu sein: „Früher war ich laut, weil ich nicht wusste, wie ich sonst sicher bin. Heute bin ich klar. Es gibt einen Unterschied. Ich muss nicht mehr schreien. Ich wähle meine Worte wie ein Chirurg sein Skalpell“, fasst der Künstler seine Entwicklung zusammen. In Zukunft möchte er seine Worte sowie seine Zeit mit Bedacht nutzen. Eines seiner Vorhaben ist, „Ein Wort sagt mehr als tausend Bilder“ als Gemeinschaftsprojekt zu etablieren. Alexander lädt herzlich dazu ein, mit ihm gemeinsam Kunst zu machen. Ob in Form von Gedichten, Bildern, Songs oder anderen Ausdrucksformen. www.einwortsagtmehralstausendbilder.de
Neben seinen Bildern arbeitet der Künstler derzeit an seinem zweiten Buch „Speichenlecker“, basierend auf realen Begebenheiten eines kleinen Fahrradladens gemischt mit Fiktion, einer weiteren Ausstellung, er wirkt mit am 19.6. bei „Pimp my Rollator“ im Rahmen der Social Design Week in Hamburg und plant seine Live-Performance „Get out of your Bubble“.
Die Vernissage findet am 26. Juni um 17 Uhr im Verwaltungsgebäude des Paritätischen Braunschweig, Saarbrückener Str. 255, statt. Eine Anmeldung ist nicht notwendig, eine Rückmeldung unter Tel.: 0531/48079-0 oder per Mail: einladung@paritaetischer-bs.de allerdings wünschenswert. Der Verband nutzt seine Räumlichkeiten regelmäßig, um Künstler:innen eine Plattform zu bieten und Menschen zu inspirieren. Ein halbes Jahr lang zieren rund 15 Werke die Wände der hellen, großzügigen Räume des Paritätischen. Interessierte können die Ausstellung auch nach der Eröffnung jederzeit zu den Geschäftszeiten unter kurzer Voranmeldung besuchen.
Fotos Lina Tauscher