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Die Helmstedter Journalistin Beatrix Flatt hat zu Fuß die ehemalige
innerdeutsche Grenze bewandert, das „Grüne Band“.
PK Flatt Beatrix DSC02913 c Lorenz Flatt art


Fast 1 400 Kilometer Stacheldrahtzäune, Wachtürme, Mauern und Minenfelder auf einer Linie des Schreckens quer durch das heutige Bundesgebiet haben Ost und West einst getrennt. Das war einmal, denn wo sich früher bedrohlich und unüberwindbar der innerdeutsche Grenzstreifen von der tschechischen Grenze bis zur Ostsee durchs Land zog, hat seit 1989 die Natur die Oberhand zurückgewonnen. Nur noch vereinzelt begegnet man auf diesem „Grünen Band“ den ehemaligen Grenzbefestigungen, die heute nur noch als Denk- und Mahnmäler dienen. Gleich nach der Wende gab es den Beschluss, den 50 bis 200 Meter breiten Grenzverlauf in einen umfassenden Naturschutzstreifen zu verwandeln. Inzwischen ist das Grüne Band Deutschlands größter Biotopverband, in dem über 1 200 bedrohte Tier- und Pflanzenarten beheimatet sind. Mahnmal und Friedensprojekt zugleich, ein Dreiklang aus Naturschutz, Grenzgeschichte und Kultur, der viele Geschichten zu erzählen hat.
30 Jahre nach der Wiedervereinigung hat die Journalistin Beatrix Flatt, die selbst direkt an der ehemaligen Grenze in Helmstedt wohnt, das Grüne Band bewandert. Mit ihrem Laptop, einem Rucksack und großer Neugier wanderte sie 63 Tage lang vom Dreiländereck bei Hof bis zum Priwall an der Ostsee und begegnete dabei alteingesessenen, zugezogenen oder zurückgekehrten Menschen, die hier leben, arbeiten und sich engagieren, fernab der Metropolen, doch aus der Mitte Deutschlands. Über ihre Reise hat sie ein Buch geschrieben: Auf 222 Seiten finden sich 71 Kurzreportagen, dazu zahlreiche Fotos. „Grenzenlos: Begegnungen am Grünen Band“ von Beatrix Flatt ist im Mai beim Braunschweiger Verlag Andreas Reiffer erschienen.
30 Jahre Wiedervereinigung – was hat es für dich bedeutet, diesen Weg genau in der Zeit dieses Jubiläums zu beschreiten?
Die Idee dazu hatte ich schon viele Jahre. Aber dieses Jubiläum gab den Ausschlag, es jetzt zu machen und nicht länger zu warten. An solchen Jahrestagen wird einem bewusst, wie schnell die Zeit vergeht und dass man Dinge nicht zu lange aufschieben sollte.

Bist du tatsächlich strikt von einem Ende zum anderen gelaufen?
Ich bin wirklich in der Nähe von Hof am Dreiländereck Sachsen/Bayern/Tschechien gestartet und systematisch entlang der ehemaligen Grenze bis zur Ostsee gelaufen. Allerdings bin ich nicht 63 Tage am Stück gelaufen, sondern in mehreren Etappen, so wie es meine Zeit erlaubte. Aber Endpunkt einer Etappe war gleichzeitig Startpunkt der nächsten Etappe.

Hattest du einen festen Zeitplan für Zwischenstopps und Abschluss deiner Wanderung?
Ja, den hatte ich. Ich wusste morgens immer, wo ich abends übernachten kann. Es gibt nicht so viele Übernachtungsmöglichkeiten am Grünen Band, sodass ich das im Vorfeld geplant und gebucht habe. Außerdem habe ich mich mit meinen Interviewpartnern und -partnerinnen verabredet. Es ist manchmal gar nicht so leicht, Termine zu koordinieren, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Somit gab es nicht so viel Raum für Spontanität.

Wie war es für dich, als du deiner Heimatregion Helmstedt nähergekommen bist?

Heimat begann für mich, als ich das erste Mal im Süden des Harzes den Brocken gesehen habe. Auf den Gipfel bin ich in den letzten Jahren schon viele Male gewandert. Aber jetzt war es kein Ausflug von Helmstedt aus, sondern am Tag 38 nach mehr als 800 Kilometern übernachtete ich auf dem Brocken. Ich bin mit offenem Blick und großer Neugier unterwegs gewesen, so entdeckte ich auch rund um Helmstedt Neues und Spannendes. Ich kannte bei weitem nicht alle Wege. Auch hier gab es viele neue Geschichten. Ich hätte noch mehr berichten können.
Das Land zwischen Braunschweig, Wolfsburg und Helmstedt war damals ja sogenanntes Zonenrandgebiet, wo man die Grenze sehr stark gespürt hat. Haben die Menschen hier immer noch ein besonderes Verhältnis zur ehemaligen Grenze oder hat sich das verwaschen?
Meine Wahrnehmung ist natürlich sehr subjektiv und nicht repräsentativ. Die Menschen, die heute in der Nähe des Grünen Bandes leben, begegnen dieser innerdeutschen Grenze in ihrem Alltag immer wieder. Menschen, die weiter im Osten oder im Westen Deutschlands leben, haben nicht so viele Berührungspunkte mit der ehemaligen Grenze, deshalb ist sie wahrscheinlich auch weniger Thema für sie. Auf meiner Wanderung bin ich vielen Menschen begegnet, die von ihrem Leben mit und an der Grenze vor dem Fall des Eisernen Vorhangs berichteten. Die Geschichten sind so unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen selbst. Ich bin vielen Menschen begegnet, die aus den unterschiedlichsten Gründen immer wieder von der ehemaligen Grenze angezogen werden – entweder weil sie an der Grenze als Bundesgrenzschützer auf Westseite oder als Angehörige der DDR-Grenztruppen gearbeitet haben, weil sie unter der Willkürherrschaft der DDR gelitten haben, weil sie geflohen sind oder versucht haben, zu fliehen. Dann gibt es die Gruppe der Menschen, die wegen der Natur kommen. Am Grünen Band treffen sich unterschiedlichste Menschen unabhängig davon, wo sie vor der Grenzöffnung gelebt haben. Entlang der ehemaligen Grenze sind viele strukturschwache Regionen, aus denen junge Menschen wegziehen. Die Grenze ist oft leider noch im öffentlichen Nahverkehr, Schulen oder Kindergärten vorhanden. Mein Eindruck ist, dass die Gegensätze zwischen Ost und West in den Grenzregionen weniger zu spüren sind, da die Menschen viel hin- und herpendeln, sei es zum Arbeiten, Einkaufen, für Arztbesuche, für Kultur oder einfach weil Freundschaften entstanden sind. Wir wissen alle, dass die Lebensverhältnisse nicht in allen Bundesländern gleich sind. Von daher gibt es Unterschiede, die sich auch nicht so schnell angleichen lassen. Das ist aber nicht nur ein Problem von Ost und West. Es gibt überall abgehängte und erfolgreiche Regionen.
Meinst du, dass diese „Mauer in den Köpfen“ irgendwann verschwinden wird?
Ich gehe davon aus, dass die mentale Mauer mit der jungen Generation, für die die deutsche Teilung Geschichte ist, verschwinden wird.

Hast du heute noch irgendwas von dem Schrecken und der Bedrohung, den die Grenze damals ausgestrahlt hat, gespürt?
Den Schrecken und Wahnsinn dieser Grenze habe ich immer wieder gespürt. Das ganze Grüne Band ist ein Mahnmal und eine Erinnerung an diese unmenschliche Grenze. Kolonnenwege und KFZ-Sperrgraben begleiteten mich über viele, viele Kilometer. Es gibt noch einige Beobachtungstürme als stumme Zeugen in der Landschaft. Es gibt Relikte geschleifter Ortschaften, die an das Leid der Menschen durch die Grenzziehung erinnern. In vielen kleinen Grenzmuseen und durch ausgeschilderte Themenwege wird die jeweilige regionale Geschichte erläutert.

Was ist neben der Renaturierung die größte strukturelle Veränderung der ehemaligen Grenzlandschaft? Hat die Modernisierung Einzug gehalten?
Es ist eine ländliche, sehr dünn besiedelte Region. Es gibt viele nett hergerichtete Dörfer mit einem sehr aktiven Dorfleben. Die Infrastruktur und die Versorgung mit Internet sind allerdings stellenweise sehr schlecht – egal ob westlich oder östlich des Grünen Bands. Das Grüne Band könnte an manchen Stellen Impulse für einen sanften Tourismus geben.
PK Flatt Beatrix art
Welche Geschichte oder Begegnung hat dich am meisten beeindruckt?
Es fällt mir schwer, mich für eine Geschichte oder eine Begegnung zu entscheiden. Dazu gab es zu viele außergewöhnliche Geschichten, die mich berührt haben. Ich denke zum Beispiel an eine Grundschule im thüringischen Schiefergebirge. Seit Jahren arbeiten die Lehrkräfte mit den jeweiligen Schülern und Schülerinnen die Geschichte der ehemaligen Mühlen und deren Bewohner entlang eines Grenzbaches auf. Alle Mühlen wurden im Zuge des Grenzausbaus abgerissen. Ein Mann zeigte mir direkt an der ehemaligen Grenze seine Stasi-Akte. Eine junge Frau aus dem Altmarkkreis Salzwedel mit viel Energie bringt mit einem Kreativhof und ganz viel Netzwerkarbeit über Generationen und Vereine hinweg die Region voran.

Welche Rolle hat das Naturerlebnis auf deiner Reise gespielt?
Die Natur begleitete mich ständig, aber ich hatte nachts immer ein Dach über dem Kopf. Das Grüne Band ist ein großes Naturschutzprojekt. Ein großer Teil der Flächen entlang der 1 400 Kilometer stehen unter Naturschutz. Es ist somit der längste Biotopverbund Deutschlands. Ich habe auch einige Menschen getroffen, die sich für Naturschutzprojekte am Grünen Band einsetzen. Das ist ja das Besondere an dem Grünen Band, dass es Natur, Geschichte und Kultur verbindet.

Wie hat sich dein Blick auf Deutschland durch deine Entdeckungsreise verändert?
Mir war vorher nicht bewusst, dass Deutschland über weite Strecken so wild, so wenig erschlossen, abenteuerlich und abwechslungsreich ist.

Gibt es schon Ideen für ein neues Buchprojekt?
Nein, es gibt noch keine konkreten Ideen. Aber es hat so viel Spaß gemacht, dass ich mir das schon ernsthaft überlegen werde. 

Interview Benyamin Bahri
Foto Lorenz Flatt

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