Warum Social Media gerade jetzt Wärme und Hoffnung schenkt.
Beim weltweit größten Internetknoten, dem De-Cix in Frankfurt, wurde bereits im März eine Verdopplung des Datenverkehrs in Bezug auf Videokonferenzen festgestellt. Auch Streaming-Anbieter wie Netflix und YouTube drosselten ihre Bildqualität, um das Netz vor einer Überlastung zu schützen. Doch bietet das Internet nicht nur Raum für passiven Konsum, vielmehr ist es ein Ort voller kreativer Möglichkeiten, die sowohl die häusliche Isolation erleichtern als auch Geschäften, Künstlern und Gastronomien eine Plattform bietet, um ihre Existenz zu sichern.
Soziale Medien wie Instagram, Facebook und Co. sind in den letzten Jahren immer mehr in Verruf geraten. Während sich auf Instagram alles um die perfekte Selbstinszenierung dreht, verteilen Trolle fröhlich Hasskommentare auf Facebook. Doch in Corona-Zeiten scheint sich das Bild zu wandeln: Zwar werden in den Sozialen Medien immer noch Falschmeldungen verbreitet und gehetzt, doch rufen auch immer mehr Nutzer mit starken Hashtags zu Solidarität, Rücksicht und Zusammenhalt auf. Mal ernsthaft, mal ironisch tauschen sich Menschen aus der ganzen Welt mit den Hashtags #flattenthecurve, #stayhomechallenge oder #nachbarschaftshilfe über ihre Erfahrungen und den verdrehten Alltag in dieser ungewöhnlichen Situation aus. Das macht das „social distancing“ einfacher und vermittelt uns das Gefühl: Wir sind nicht allein!
Zurzeit erlebt nämlich auch das Online-Dating eine Hochkonjunktur. Viele Singles nutzen die häusliche Isolation, um ihr perfektes Gegenstück zu finden. Hypothetisch gesehen ein sehr romantischer Gedanke: Die Gespräche werden tiefsinniger, die emotionale Bindung stärker, die virtuellen Dates machen das Kennenlernen einzigartig und die Vorfreude steigt, sich nach der Kontaktsperre in der Offline-Welt zu sehen – für viele einsame Herzen ein vielversprechendes Szenario.
In Zeiten der Corona-Pandemie verstärken vermehrt auch Künstler, Bands und Kreativschaffende ihren Social-Media-Auftritt. Besonders Instagram wandelte sich in den letzten Wochen zu einer virtuellen Bühne für Sport, Konzerte und Diskussionen via Live-Videos – die seit Kurzem sogar in der Desktop-Version verfügbar sind.
Vorreiter für die gemütlichen Wohnzimmerkonzerte ist Coldplay-Frontmann Chris Martin, der gemeinsam mit Hilfsorganisation Global Citizen den Hashtag #together-athome ins Leben rief, um Spenden für den Kampf gegen Covid-19 zu sammeln. Schon bald reihten sich Künstler wie Jack Johnson, James Bay und Camila Cabello ein. Bislang erreichte die wohltätige Aktion am 18. April mit dem virtuellen Mega-Konzert „One World: Together at Home” ihren Höhepunkt. Bei dem zweistündigen Livestream-Event performten unter anderem Paul McCartney, Elton John, Beyoncé sowie Mitorganisatorin Lady Gaga aus ihrem Wohnzimmer. Des Weiteren führten die US-Starmoderatoren Jimmy Kimmel, Jimmy Fallon und Stephen Colbert durch die Show, Ex-First Ladies Michelle Obama und Laura Bush dankten den Helfern in Krankenhäusern und Geschäften und auch einige Ärzte, Wissenschaftler und Politiker schalteten sich dazu. Seit dem Start der #togetherathome-Aktion haben die Organisatoren bereits 127,9 Millionen US-Dollar sammeln können, mit denen unter anderem die Arbeit der WHO, UNICEF und Pflegekräfte unterstützt sowie die Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Corona-Virus vorangetrieben werden soll. Für Lady Gaga sei das Benefizkonzert ein Liebesbrief an die Welt und richte sich besonders an die Menschen an vorderster Front, die beim Kampf gegen das Virus ein beispielloses Maß an Freundlichkeit zeigen.
„Die Vernetzung macht es möglich, viele Menschen in kürzester Zeit zu erreichen und Statements zu setzen“
Dieser Tage merken wir, dass die Digitalisierung in Corona-Zeiten ein Geschenk für die Menschheit ist. Die Vernetzung macht es möglich viele Menschen in kürzester Zeit zu erreichen, Solidarität zu zeigen und Statements zu setzen. Statements, die die Kultur nicht stillstehen lassen. Auch regionale Live-Stream-Events symbolisierten bereits: Wir sind noch da und stehen das gemeinsam mit euch durch.
So wurde beispielsweise aus dem geplanten Benefizkonzert des Braunschweiger Kultcafés Riptide ein Instagram-Festival, das Musiker und Bands wie Timo Scharf, Kroner, Poly Ghost oder Cosmo Thunder auf den Plan rief.
Gegen die Tristesse und den Partyentzug hilft hingegen das DJ-Livestreaming-Format „The Roof Is On“, das jeden Samstag von 19 bis 21 Uhr direkt vom Soldekker Rooftop sendet. Ausgestrahlt wird das Online-Format auf den Facebook-Kanälen der Initiatoren der eventives GmbH in Zusammenarbeit mit der Braunschweigischen Landessparkasse, dem Soldekk und dem Kultviertel-Verein.
Zwar werden wir glücklich sein, wenn die Zwangsdigitalisierung irgendwann vorüber ist und wir wieder frei in Geschäften herumschlendern, zur Arbeit gehen oder unsere Lieblingsband hautnah auf der Bühne erleben können. Dennoch wird unser Blick auf die Digitalisierung nach der Corona-Krise ein anderer sein. Nun wissen wir, welch ein bunter Raum voller vielseitiger Möglichkeiten uns geboten wird. Ein virtueller Raum, der uns miteinander verbindet, den wir mit Solidarität, sozialen Aktionen und Zusammenhalt füllten und der diese verrückte Zeit ein wenig erträglicher machte.
Text Denise Rosenthal
Foto & Grafiken Marina Zlochin, DisobeyArt, H_Ko – stock.adobe.com